Projekt Wetterbach

Wie alles begann

Wer mich kennt, weiß, dass ich besonders gerne im Urlaub fotografiere, meist in Portugal oder Schweden. Im Sommer 2020 war jedoch plötzlich alles anders. An eine Flugreise kaum zu denken und auch ein Urlaub in Schweden wäre durch große Ungewissheit und Unabwägbarkeit ein Wagnis gewesen. Stefan und ich haben uns daher entschlossen, Urlaub auf Balkonien zu machen. Doch was fotografiert man im Hochsommer in Süddeutschland? Alles ist trocken, das Licht zu grell und in diesem speziellen Sommer waren zudem sämtliche Ausflugsziele völlig überlaufen. Unser Urlaub war bereits zum größten Teil vorbei, ich hatte mich hauptsächlich dem Schreiben gewidmet und mich schon damit abgefunden, in diesem Jahr nicht wirklich etwas Aufregendes zu fotografieren.

In diesem Moment fiel mir der Wetterbach ein, ein kleiner Bach, der, wie der Name schon sagt, vor allem nach starkem Regen viel Wasser führt. Er entspringt am Rande meines Wohnortes, fließt teilweise unterirdisch durch das Nachbardorf und entlang der Hauptstraße den Berg hinab. Es ist ein unscheinbares Gewässer, in dem ich zwar schon das ein oder andere Mal fotografiert habe, aber meist nur an einer leicht zugänglichen Stelle, kurz nachdem der Bach das Dorf verlässt. Jetzt wollte ich mir allerdings speziell die unzugänglicheren Bereiche des Baches vornehmen.

Kurzerhand habe ich mir ein paar Gummistiefel besorgt, viel zu kurze, aber in meiner Schuhgröße habe ich keine anderen gefunden. Noch ein paar Gamaschen zum Drüberziehen, ja, das sollte gehen. Und es funktionierte, wie ich ein paar Tage später bei einer ersten Erkundungstour begeistert feststellte. Vorsichtig schritt ich den Wetterbach hinab, überlegte, wie ich die kleinen Wasserfälle hinunterkomme, watete aufgeregt durch die tieferen Stellen und staunte, wie unterschiedlich der Bachlauf auf der kurzen Strecke von knapp einem Kilometer aussah. Mal flach und mit wenig Wasser, mal in kleinen Wasserfällen den Berg hinabrauschend und teilweise eingemauert, entdeckte ich auf Anhieb viele interessante Stellen. Am 06. September 2020 habe ich zum ersten Mal die Kamera mit in den Bach genommen. Das #projektwetterbach war geboren.

Mir war von Anfang an klar, dass dies ein abwechslungsreiches Projekt wird, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, was genau mich dort erwarten könnte. Aber ich hatte das Gefühl, eine Aufgabe gefunden zu haben, die mich motivieren und herausfordern würde.

Wasser

Wer einen Bach fotografiert, kommt am Wasser nicht vorbei, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich nass geworden bin, es hat irgendwann einfach keine Rolle mehr gespielt. Die Faszination, die dieses erfrischende Element auf mich ausübt, hat viele feuchte Kleidungsstücke wettgemacht. Das Wasser in all seinen Aspekten einzufangen, war von Anfang an mein Ziel. Ob es mir gelungen ist, kann ich nicht sagen, unglaubliche Freude bereitet haben mir meine Bildexperimente mit Wasserfällen, Luftblasen, Wasserstrudeln und Spiegelungen auf jeden Fall.

Das Wasser ist in einem Bach, der sich mit dem Wetter ändert, nie gleich. Genau genommen ist es das an keinem fließenden Gewässer, aber an diesem ist es besonders offensichtlich.

Frühling

Pflanzen und Pilze

Sommer

Der Sommer 2021 war geprägt von ständigen Wetterwechseln und vielen Unwettern mit heftigen Regengüssen. Der Name „Wetterbach“ war in diesem Jahr Programm, immer wieder wurde der kleine Bachlauf so heftig geflutet, dass einzelne Baumstämme und sogar Felsen sich plötzlich woanders wiederfanden als zuvor. Teilweise hat sich das Wasser so stark gestaut, dass sich eine Art Bypass gebildet hat und auch das Ufer überschwemmt wurde. In solchen Momenten saß ich häufig einige Kilometer entfernt im Trockenen und habe überlegt, was wohl gerade im Bach passiert. Aus Sicherheitsgründen bin ich trotz aller Neugier erst dann Nachschauen gegangen, wenn alles wieder sicher war. Es war dennoch beeindruckend genug, mitzuerleben, wie der Bach sich immer wieder verändert, wie schnell das Wasser an manchen Stellen abfließt und wo es sich eine Weile staut.

 

 

Nach heftigen Unwettern ist der Untergrund am Bachrand an manchen Stellen wie leergefegt. Aber es dauert nicht lange und neue Pflanzen siedeln sich an. Bereits einige Tage nach der letzten Überflutung sprießen die ersten Keimlinge. Ob sie das nächste Unwetter wohl überstehen? Und was dann aus ihnen werden mag?

Tiere

Wasser ist das lebensspendende Element, das die Besiedelung des Wetterbachs erst möglich macht. Gleichzeitig kann das Wasser eine Gefahr und tödliche Falle für seine Bewohner sein. Immer wieder habe ich tote Tiere im Wasser gesehen oder Käfer und Falter dabei beobachtet, wie sie sich vor dem Ertrinken zu retten versuchten. Diese Bilder sind vor den extremen Hochwassern in diesem Sommer entstanden. Was hier im Kleinen für die winzigen Bewohner dieses Biotops bereits bedrohlich werden kann, hat sich in den letzten Monaten von seiner heftigsten Seite gezeigt und uns spüren lassen, was durch den menschengemachten Klimawandel in Zukunft immer wieder auf uns zukommen kann. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können und sollten unser eigenes Verhalten immer wieder reflektieren. Je umweltbewusster wir uns verhalten, umso besser ist es am Ende für uns alle.

 

 

Mit einer Länge von ca. 20 cm war dieser Wurm ein Prachtexemplar und erstaunlich schnell unterwegs. Er kroch in eine Felsspalte, bis nur noch das Hinterteil herausschaute.

Herbst

Mensch und Natur

Eine aufgeweichte Scheibe Toastbrot ist für diese Schnecke anscheinend ein besonderer Leckerbissen.

Ob damit wohl jemand die Enten füttern wollte...?

Das erste, was mir ins Auge sprang, als ich meine Erkundungstour durch den Bach begann, war der viele Müll. Unzählige achtlos weggeworfene Flaschen, Verpackungen und Dosen lagen im und am Bach. Bei meinen ersten Besuchen hatte ich nicht daran gedacht, einen Müllbeutel mitzunehmen, um das alles einzusammeln, und ich fühlte mich jedes Mal schlecht, wenn ich die Abfälle einfach liegen ließ. Der Bach kam mir ironischerweise selbst zu Hilfe, auf einer meiner ersten Touren fand ich einen gelben Eimer, ebenfalls weggeworfen oder vielleicht vom Sturm in den Bach geweht, wer weiß. Jedenfalls beschloss ich, den Eimer als Sammelgefäß für den Müll zu verwenden, und ich habe ihn seither beinahe bei jedem Besuch randvoll gefüllt. Ich begann, den Müll zu wiegen und zu dokumentieren, um später eine Bilanz ziehen zu können. Außerdem habe ich einige der interessantesten Stücke aufgehoben, auch wenn ich zu Anfang noch nicht wusste, was ich damit einmal anfangen sollte. Im Laufe der Zeit habe ich auf diese Weise fast 20 kg Müll aus dem Bach entfernt. Den größten Teil nahmen Glasflaschen und Scherben ein, dicht gefolgt von Metallteilen. Ich habe allerdings auch mehr als 3 kg Plastikabfälle nach Hause getragen, was eine beachtliche Menge ist, wenn man bedenkt, wie leicht dieses Material ist.

Ein Bach, der so nah an der Straße verläuft, wird vermutlich niemals frei von Müll sein. Es fahren jeden Tag unzählige Autos und Fahrräder an ihm vorbei und die Menschen sind in den letzten Jahren immer achtloser geworden. Wer nimmt schon wahr, dass es Natur gibt, die schützenswert ist, wenn er selbst in einer Blechkarosserie sitzt und keinen Blick für seine Umgebung übrig hat? Wer denkt schon darüber nach, wie weit ein Stück Plastik getragen wird, wenn er es auf der Straße verliert? Man kann die Natur nicht vom Menschen trennen, auch wenn der Mensch sich innerlich längst von der Natur getrennt hat. Und so wird immer wieder neuer Müll den Wetterbach hinunterfließen, egal, wie viel ich in meinem kleinen gelben Eimer hinaustrage. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass jedes einzelne Stück wertvoll ist, das nicht in „meinem“ Bach liegen bleibt.

Winter

die Ästhetik der Natur

Meine absolute Lieblingskategorie als Makrofotografin ist die häufig auch als „Nature as Art“ bezeichnete Ausdrucksform, in der bei Bildern nicht das Motiv selbst, sondern der ästhetische Ausdruck im Vordergrund steht. Ausgerechnet diese Kategorie ist gleichzeitig die leichteste und doch die schwierigste von allen. Wie kann das sein? Bilder so umzusetzen, dass sie eine sphärische Wirkung entfalten, die über das offensichtliche "hübsch sein" und den rein dokumentarischen Wert hinausgeht, ist in meinen Augen die Königsdisziplin der Fotografie. Es mag sein, dass manche das anders beurteilen, aber mich faszinieren Bilder besonders, die durch ihre künstlerische Wirkung überzeugen. Warum ist es leicht, das umzusetzen? Wenn ein Motiv sich für diese Art der Bildgestaltung eignet, dann habe ich das Gefühl, die Kamera macht das Bild beinahe von alleine. Fotografie hat in diesem Moment viel mehr mit Gefühl zu tun als mit Bildwirkung, Blendeneinstellungen, Belichtungszeiten oder anderen technischen Details. Meine Lieblingsbilder entstehen meist aus dem Augenblick heraus, häufig per Zufall, selten konstruiert.

Und warum ist es gleichzeitig so schwierig? Zum einen ist Ästhetik Geschmacksache. Während sich auf ein klassisches Motiv meist alle einigen können und dieses zumindest ansprechend oder interessant finden, gefallen abstrahierte, aus dem Zusammenhang losgelöste Bilder nicht jedem. Das spielt allerdings keine so große Rolle, sie müssen ja in erster Linie mich als Fotografin überzeugen. ;-)

Zum Anderen lassen sich solche Momente nicht erzwingen und nur sehr schlecht planen. Im Wetterbach gibt es zum Beispiel eine bestimmte Stelle, zu der zu einer bestimmten Tageszeit das Licht sehr vorteilhaft durch die Bäume bricht. Die Stellen, an denen ich das nutzen kann, sind sehr begrenzt und nicht immer findet sich dort ein Motiv, das sich in Szene setzen lässt. Mit dem Licht alleine ist es leider nicht getan. Umgekehrt finden sich manche Motive nur an sehr schattigen oder schwer zugänglichen Stellen. Die Salamanderlarven zum Beispiel sind eher in dunkleren Ecken zuhause und unter Wasser ohnehin schwer zu fotografieren. Von ihnen gibt es daher zwar recht ansprechende dokumentarische Bilder, ein Motiv für diese Kategorie sind sie jedoch nicht. 

Aus der Nähe betrachtet sieht diese seltsame Struktur aus wie ein Wasserfall. Es handelt sich vermutlich um eine Kahmhaut, die sich im extrem trockenen Sommer 2020 an einer der Steinstufen gebildet hat, an denen das Wasser kontinuierlich, aber langsam und in geringer Menge hinabtropft.

(Galerie Bild 3) 

So klein und unscheinbar sehen die Luftblasen aus, die aus der Nähe fotografiert wie eine Luftpolsterfolie anmuten. Am liebsten möchte man hineingreifen und plopp, plopp, plopp ...

 

 

(Galerie Bild 4)


Fazit - Was mir das Projekt gebracht hat

Ich bin relativ unbedarft an dieses Projekt herangegangen und habe viele Vorteile erst im Laufe der Zeit zu schätzen gelernt. Der erste und offensichtlichste Pluspunkt war, dass ich jederzeit und innerhalb von wenigen Minuten an meinem Bach sein konnte, wenn ich Lust hatte, fotografieren zu gehen. Ich habe es völlig unterschätzt, wie viel häufiger ich die Kamera einpacken und „mal eben kurz“ losziehen würde. Auch wenn aus so manchem spontanen Kurztrip in den Bach dann doch ein mehrstündiger Ausflug wurde, so hat mich die geringe Entfernung dennoch immer wieder meinen inneren Schweinehund überwinden lassen. Es ist tatsächlich etwas anderes, wenn man nicht erst überlegen muss, wo man hinfahren könnte und nicht ewig im Auto sitzt, um ein geplantes Ziel zu erreichen.

Was ich ebenfalls unterschätzt hatte, war die Motivation, die ich aus einem eigenen Projekt ziehen würde. Zuvor war ich eher planlos fotografieren gegangen, hatte mal hier, mal dort einige Plätze aufgesucht. Die Faszination, in einem relativ eng begrenzten Territorium immer wieder neue Motive auszumachen, hatte ich so nicht erwartet. Zuerst hat mich natürlich das Thema Wasser begeistert, was bei der Bachfotografie nicht besonders überraschend ist. Wie unterschiedlich sich dieses simple Element allerdings an den unterschiedlichen Stellen des Bachlaufes und im Verlauf der Jahreszeiten präsentiert, hätte ich nicht erwartet. Ob verschiedene Untergründe, unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten, Änderungen des Lichteinfalls, kein Besuch war wie der andere. Mit einer solchen Abwechslung hätte ich wahrlich nicht gerechnet.

Die größte Faszination übte allerdings die Tierwelt auf mich aus. Obwohl ich mich in einem sehr stadtnahen Terrain bewegte, hatte ich Begegnungen mit Tierarten, die ich teilweise nie zuvor in freier Wildbahn gesehen hatte oder die ich zumindest noch nie fotografiert hatte. Es war immer wieder spannend und ich wusste nie, was mich bei meinem nächsten Bachbesuch erwartet. Ich werde den Wetterbach daher auch in Zukunft immer mal wieder aufsuchen, wenn auch vermutlich nicht in derselben Intensität wie in diesem ersten Jahr. 

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