Das Warten

 

Konzentriert fixierte ich die Tür. Was dauerte denn nur wieder so lange? Ich wartete schon eine halbe Ewigkeit auf ihn, so langsam wurde ich ungeduldig. Ich hatte Hunger, aber an Abendessen war nicht zu denken, bevor er heimkam. Und ich hatte zu nichts Lust, wenn er nicht da war, ich konnte mich zu nichts aufraffen. Wie konnte man von einem Menschen nur so abhängig sein?

Als Strafe würde ich ihn einfach nicht beachten, wenn er kam, weil er mich so lange alleine gelassen hatte!
War das sein Auto??? Mist, nur der Nachbar. Entnervt legte ich mich aufs Sofa und beschloss, eine Weile zu schlafen.
Es war längst dunkel, als ich an dem Geräusch aufwachte, das sein Schlüssel im Türschloss verursachte. Augenblicklich war ich hellwach. Vergessen war mein Frust und dass ich ihn bestrafen wollte, ich freute mich einfach nur tierisch, dass er endlich nach Hause gekommen war. Begeistert stellte ich mich auf die Hinterbeine und schleckte ihm einmal mitten durchs Gesicht.
»Ach Finchen, was machst du denn? Ich war doch höchstens eine halbe Stunde weg!«
Sag ich doch, eine halbe Hundeewigkeit …

 

Gewinner des Sweek #MikroTür-Wettbewerbs

 


 Schneckenpost ...

 

Es war einfach interessant zu beobachten, wie Tom jeden Nachmittag wie der Blitz aus dem Haus stürmte, kaum dass der Postbote unserem Briefkasten den Rücken zu wendete. Den kleinen Schlüssel, mit dem man unseren Briefkasten aufschloss, drehte er ungeduldig im Schloss, riss die Klappe fast aus den Angeln und las dann fieberhaft die Absender auf den Briefen.
Mit hängenden Schultern, aber auch einer gewissen Erleichterung im Blick, legte er die Post auf die kleine Garderobe im Flur und stapfte zurück in sein Zimmer.
Irgendwann musste ich ihm natürlich sagen, dass “blaue Briefe“ heutzutage per e-mail kamen und ich die Nachricht von der Schule schon vor einigen Tagen bekommen hatte. Aber für den Moment sollte er ruhig noch ein wenig schwitzen …

 

Im Finale des Sweek #MikroBrief-Wettbewerbs


 Wahre Liebe...?

 

Sie hatte ihr bereits alles gegeben ... ihre Stimme, ihr Lachen, ihre Erinnerungen.
Sie hatte ihr die Welt erklärt, so wie sie die Dinge sah. Mit ihr über Philosophie gesprochen, über Werte, über Gott und die Welt ... Ihr alles vermittelt, was sie für notwendig gehalten hatte.
Jetzt würden sie auch noch den allerletzten Schritt gehen, auch wenn das natürlich nie so geplant war. Es hätte jemand anders sein sollen, ein anonymer Spender, irgendjemand.
Aber dann war dieser fürchterliche Autounfall passiert. Und als fest stand, dass Klara nie wieder aufwachen würde, hatte er keine Sekunde gezögert.
War es egoistisch von ihm?
Auf jeden Fall!
Natürlich, er wollte Klara einfach nicht verlieren, sie war doch noch so jung gewesen. Und letztlich hätte sie es sicher gut geheißen, darauf hatte ja schließlich ihre gesamte Arbeit abgezielt ... irgendwie.
Und es hatte auch tatsächlich funktioniert, ganz ohne Komplikationen. Er konnte es immer noch kaum glauben.
Und als sie ihn jetzt anschaute, mit ihren strahlend blauen Augen, da spürte er dasselbe Kribbeln im Bauch wie früher. Mit warmem Blick schaute er sie an, und sie lächelte zurück, mit Klaras Lächeln.
Aber würde sie ihn auch lieben? Konnte eine künstliche Intelligenz überhaupt lieben?
Aber schließlich schlug Klaras Herz in ihrer Brust …

 

Im Finale des #MikroHerz-Wettbewerbs 


Die Traumseherin 

 

Maja erwachte früh am Morgen aus einem fürchterlichen Alptraum. Sie bemühte sich, den Traum festzuhalten, obwohl sie ihn am liebsten sofort vergessen hätte. Aber es war wichtig, dass sie sich so viel wie möglich einprägte, nur so konnte sie vielleicht Schlimmeres verhindern.
Sie hatte Schreie gehört, das Brechen von Metall und einen heftigen Aufprall. Gekreische, Hilfeschreie. Aber da waren keine Bilder, woher sollte sie also wissen, was geschehen würde? Damals, bei der Love Parade hatte sie ihren Traum nicht verstanden, und sich jahrelang Vorwürfe gemacht.
Langsam drangen Details in ihr Bewusstsein. Ein Rummelplatz, blauer Himmel, lachende Menschen. Das Riesenrad, das sich langsam im Kreis drehte, hoch, immer höher. Es war die Gondel mit der Nummer zehn.
So schnell wie möglich rannte Maja zum Rummel, drängte sich durch die Menge, bis sie am Riesenrad ankam. Natürlich glaubte der Besitzer ihr kein Wort, niemals würde er das Gefährt anhalten, schon gar nicht heute, wo die Leute in einer fast endlos langen Schlange warteten.
Also musste sie sich etwas anderes einfallen lassen.
Sie verhandelte lange mit ihm, und schließlich brachte er ein Schild “defekt“ an Gondel zehn an. Es kostete Maja fast ihre gesamten Ersparnisse, aber als die Gondel abstürzte, wurde niemand verletzt.

 

Im Finale des Sweek #MikroTraum-Wettbewerbs



SIE

 

Sie ging mit schnellen Schritten die Straße entlang.

War es okay, ihr zu folgen?

Im Club hatte sie mit einigen Männern geredet, geflirtet, getanzt. Am Ende ließ sie alle stehen.
Bei mir hätte sie vermutlich keine Ausnahme gemacht.
Ich konnte sie noch nicht loslassen, also folgte ich ihr mit einigem Abstand. Nur, um zu sehen, dass sie wohlbehalten zuhause ankam, redete ich mir ein. Mir wurde heiß, aber das kam bestimmt von dem schnellen Laufschritt, ich rannte fast, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.
Sie betrat ein Mehrfamilienhaus, kurze Zeit später war die Wohnung im Erdgeschoss hell erleuchtet. Ob sie wusste, dass man sie durch den hellen Vorhang von draußen sah?
Ich konnte den Blick einfach nicht abwenden, auch wenn ich wusste, dass ich zu weit ging. Ich verstand mich selbst nicht mehr, dabei interessierten mich Frauen normalerweise gar nicht.
Aber sie ...
Zuerst zog sie die Pumps von ihren Füßen, dann das Kleid über den Kopf. Noch nie hatte ich eine solche Faszination verspürt. Als der BH und die Perücke zu Boden fielen, wurde mir mit einem Mal klar, warum.
Sie ... ER!
Ich bewunderte die Silhouette seines schlanken Körpers, bis er das Licht löschte.
Mein Herz klopfte wie wild, als ich nach Hause ging. Hoffentlich war sie morgen wieder in dem Club. Ich würde ihr einen Drink spendieren und dann würde ich ihr ins Ohr flüstern.
»Ich kenne dein Geheimnis.«
Ich war mir sicher, dass wir den Weg zu ihrer Wohnung das nächste Mal gemeinsam gehen würden.